Ebenen der Gewaltprävention
Bild: © Anja Lomparski / Wir stärken Dich e.V.
Literaturangaben:
Handbuch Gewaltprävention I. Für die Grundschule und die Arbeit mit Kindern. Grundlagen - Lernfelder - Handlungsmöglichkeiten. Tübingen: Institut für Friedenspädagogik. Gugel, Günther (2007)
Handbuch Gewaltprävention II. Für die Sekundarstufen und die Arbeit mit Jugendlichen. Tübingen: Institut für Friedenspädagogik. Gugel, Günther (2009)
Handbuch Gewaltprävention III: Für den Vorschulbereich und die Arbeit mit Kindern. Tübingen: Institut für Friedenspädagogik. Gugel, Günther (2013)
Gewalt und Gewaltprävention: Grundfragen, Grundlagen, Ansätze und Handlungsfelder von Gewaltprävention und ihre Bedeutung für Entwicklungszusammenarbeit. Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V.. Gugel, Günther (2006)
Effektive Gewaltprävention. Evaluierte und praxiserprobte Konzepte für Schulen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Andreas Schick (2010)
Gewaltprävention und Schulentwicklung. Analysen und Handlungskonzepte. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn/Obb. Wolfgang Melzer, Wilfried Schubarth, Frank Ehninger (2004)
Weltbericht Gewalt und Gesundheit, Zusammenfassung, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation unter dem Originaltitel World report on violence and health: Summary (2002)
Übereinkommen über die Rechte des Kindes, VN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
SGB VIII Online-Handbuch herausgegeben von Peter Büttner und Stefan Rücker, Projekt PETRA GmbH & Co. KG, Forschungsgruppe PETRA gGmbH, Gewaltprävention, Günther Schatz
Gewaltprävention: Begrifflichkeiten und Präventionsbereiche
Dieser Beitrag befasst sich mit dem Thema Gewaltprävention in der Arbeit mit Kindern. Vorangestellt sind Definitionen, gefolgt von Grundlagen, Bereichen und Ebenen der Gewaltprävention.
I. Begrifflichkeiten - wie wird Gewalt definiert?
Aufgrund seiner Komplexität gibt es keine einheitliche Definition von Gewalt. Was bereits Gewalt ist, beziehungsweise als Gewalt empfunden wird, und was noch als legitim angesehen, beziehungsweise toleriert wird, ist abhängig von der Wertevorstellung unterschiedlicher Kulturen, Gesellschaften und der Herkunft. Hinzu kommt, dass Wertevorstellungen und gesellschaftliche Normen sich im ständigen Wandel befinden. War noch vor nicht allzu langer Zeit die Prügelstrafe in Schulen üblich, so ist diese heute verboten. Dennoch gibt es Eltern, die durchaus der Meinung sind, dass ein paar Ohrfeigen oder andere Formen körperlicher Züchtigung, ihrem Kind nicht schaden, im Gegenteil, für die Erziehung wichtig sind mit all den fatalen physischen, wie psychischen Folgen für das Kind. Wir sollten uns zudem im Klaren sein, dass es ein Zusammenleben völlig frei von Gewalt nicht geben wird. Gewaltprävention kann dazu beitragen, Gewalt zu mindern, nicht jedoch sie gänzlich zu eliminieren.
Die verschiedenen Ansätze:
Das Strafrecht unterscheidet zwischen „vis compulsiva“, der willensbeugenden Gewalt, die auf Nötigung abzielt und der „vis absoluta“, der absoluten beziehungsweise der willensbrechenden Gewalt.
Die Rechtsprechung versteht unter Gewalt einen körperlich wirkenden Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch sonstige physische Einwirkung, die nach ihrer Intensität dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen zu beeinträchtigen. Maßgebend ist, dass die Gewaltanwendung ursächlich zu dem vom Täter angestrebten Verhalten des Opfers führt. (Bundesgerichtshof 1995)
Nach Johan Galtung liegt Gewalt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist, als ihre potenzielle Verwirklichung. (Galtung, J.: Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek bei Hamburg 1975).
Gewaltprävention hat also mit dem Dilemma zu tun, dass sie einerseits auf vorfindbare Gewalt reagieren muss, andererseits aber nur wenig oder kaum auf präzise Analysen, Beschreibungen und Definitionen ihres Gegenstands zurückgreifen kann. (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävention für die Grundschule, 2007).
Gewalt gegen Kinder:
Nicht nur körperliche, seelische und sexualisierte (aktive) Gewalt ist eine Form von Gewalt gegen Kinder, sondern auch physische, emotionale und soziale Vernachlässigung und Verwahrlosung als passive Form. Die fehlende Zuwendung kann je nach Ausprägung, mehr oder weniger stark die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes beeinträchtigen mit Auffälligkeiten im kognitiven und emotionalen Bereich, im somatischen und psychosomatischen Bereich und im Sozialverhalten.
Wer übt Gewalt aus:
Nach der Gewaltdefinition der Weltgesundheitsorganisation werden drei Kategorien unterschieden, von wem Gewalt ausgeht: Gewalt gegen die eigene Person (suizidales Verhalten und Selbstmisshandlung), Gewalt von einer Person oder kleineren Gruppierung gegen eine andere Person (zwischenmenschliche Gewalt) und Gewalt durch größere Gruppierungen (kollektive Gewalt). Die zwischenmenschliche Gewalt gliedert sich in zwei Untergruppen: Gewalt in der Familie und Gewalt, die von Mitgliedern einer Gemeinschaft, beispielsweise im institutionellen Umfeld, ausgeht. (Weltbericht Gewalt und Gesundheit, 2002)
Gewaltprävention:
Prävention ist an die Stelle von Restriktion und Repression getreten. Prävention bezeichnet vorbeugende Maßnahmen, die ein unerwünschtes Ereignis oder eine unerwünschte Entwicklung vermeiden sollen. Je früher die Prävention greift, desto höher sind die Erfolgsaussichten. Nach der ergebnisorientierten Definition kann als Gewaltprävention alles verstanden werden, was Gewalt reduziert.
Gewaltprävention fußt nach Günther Gugel auf der Überzeugung, den Erfahrungen und Erkenntnissen, dass es Handlungsmöglichkeiten gegen Gewalt gibt, die der Anwendung von Gewalt vorbeugen. Sie basiert auf der Annahme, dass, wenn nichts unternommen wird, eine negative Entwicklung einsetzen könnte. Gewaltprävention umfasst vier zentrale Bereiche: Verbesserung der sozialen Qualität der Einrichtung, Etablierung und Verdeutlichung von Regeln und Normen des Zusammenlebens, Handeln in akuten Gewaltsituationen, Umgang mit Konflikten, Aufbau eines in der Einrichtung etablierten Konfliktmanagementsystems. (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävention für die Sekundarstufen, 2009)
II. Kinder haben Rechte
Gugel fordert, Kinder als eigenständige, vollwertige Menschen wahrzunehmen, denen eigene, unveräußerliche Rechte zukommen und denen eigene Meinungen, Interessensbekundungen und Mitbestimmungsmöglichkeiten zustehen. (Handbuch Gewaltprävention für den Vorschulbereich, 2013)
Die Gesetzeslage in Deutschland:
Seit November 2000 haben Kinder nach § 1631 Absatz 2 BGB ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
Die UN-Kinderrechtskonvention:
Dieses Recht ist ebenso in Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention verankert (Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung, Verwahrlosung): Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen […]. Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen […] ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
Seit 2014 ist es Kindern möglich, sich an den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes (Committee on the Rights of the Child) in Genf zu wenden, um ihre Rechte durchzusetzen.
Die Europäische Sozialcharta:
Nach Artikel 7 haben Kinder und Jugendliche das Recht auf besonderen Schutz gegen körperliche und sittliche Gefahren, denen sie ausgesetzt sind.
Auch ohne diese Grundlagen, sollte eine gewaltfreie Erziehung und ein gewaltfreies Aufwachsen für Kinder zum Selbstverständnis einer Gesellschaft gehören.
II. Wertekultur, Präventionskultur und Gestaltung des Sozialklimas
Zwischen der Wertekultur einer Einrichtung und tatsächlicher Gewaltanwendungen in eben dieser Einrichtung, besteht ein Zusammenhang. Grundsätzlich gibt es viele Spannungsfelder, die durch pädagogische Fachkräfte bewältigt werden müssen. Andererseits ist in den Ausbildungen der Umgang mit Gewalt und die Thematik Gewaltprävention oft nicht oder nur rudimentär vorgesehen. Bei der Bewältigung dieser Spannungsfelder besteht die Gefahr, dass Kinder in ihrer Entfaltung eingeengt und Grenzen überschritten werden. Werte- und Präventionskultur bedeuten die Schaffung stabiler Verhältnisse, damit sich Konflikte, Spannungen, Aggressionen erst gar nicht entwickeln oder zumindest aufgefangen werden können.
Bewährt hat sich die Festlegung eines Verhaltenskodex in Form von verbindlichen Verhaltensregeln, der gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet wird, um eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Weshalb ist die Etablierung von Regeln und Setzen von Grenzen so wichtig? Regeln zu akzeptieren bedeutet für Kinder mehr Sicherheit, Schutz, Halt, Orientierung und soziales Miteinander. Kinder brauchen Freiheit und Freiraum, um sich entwickeln zu können, jedoch auch Beständigkeit und Orientierung. Dies kann durch klare Grenzen setzen und verbindliche (sinngebende) Regeln erreicht werden.
Auf der anderen Seite dürfen von Erwachsenen keine Grenzverletzungen ausgehen. Mit Kindern klare Grenzen ziehen üben und Nein! Sagen lernen und das Körperbewusstsein fördern, kann Missbrauch vorbeugen. „Mein Körper gehört mir!“: Kinder haben ein Recht darauf, selbst über ihren Körper zu bestimmen. Ein Großteil an Übergriffen bei Kindern geschieht im sozialen Nahbereich. Dabei wird das Kind häufig durch Drohungen oder subtile Einschüchterungen zum Schweigen gebracht. Da es vom Täter emotional abhängig ist, traut es sich nicht, die Beziehung zu gefährden. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder Nein sagen lernen und lernen klare Grenzen zu ziehen. Nein sagen stärkt das Selbstbewusstsein, hilft in der Entwicklung des eigenen Willens und der Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und ist Voraussetzung für ein autonomes Leben. Ein Einsetzen von Gewaltprävention in früher Kindheit ist wünschenswert, da uns die frühe Kindheit prägt. Es ist demnach von hoher Bedeutung, Kinder von Anfang an in ihrer Persönlichkeit zu stärken.
Zur Wertekultur einer Einrichtung gehört ebenso die Möglichkeit der individuellen Entfaltung der Kinder und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und die Entwicklung sozialer Kompetenzen. Dazu gehört auch, dass keine Etikettierung und Stigmatisierung stattfindet. Dass diese vielmehr durch die pädagogischen Fachkräfte unterbrochen werden, um eine gesunde Entwicklung des Kindes zu ermöglichen. Die Aufgabe einer Einrichtung ist es, Kinder vor Gewalt in all seinen Facetten zu schützen. Eine Werte- und Präventionskultur sollte geprägt sein von gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung. Je demokratischer der Führungsstil einer Einrichtung ist, desto besser kann Gewaltprävention wirksam sein.
Gewaltprävention im Vorschulbereich kann nicht heißen, ein engmaschiges Netz der Überwachung und Eingrenzung zu spannen, das sich über den weiteren Entwicklungsweg von Kindern legt, sondern Kinder auf ihrem Weg ins Leben zu unterstützen und zu begleiten. Aggression und Gewalt werden auch in Einrichtungen des Vorschulbereichs nicht nur von außen hineingetragen, sondern sind in vielen Fällen hausgemacht. (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävention für den Vorschulbereich, 2013)
Eine Werte- und Präventionskultur kann nur durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, indem die notwendigen Strukturen in der Einrichtung geschaffen werden. Dazu gehören beispielsweise Streitschlichter-Programme, Anti-Mobbing-Programme, Selbstbehauptungsprogramme, Sozialkompetenzprogramme, Förderung sozialer Kontakte, Konfliktlösungs- und Peer-Mediationsprogramme, Stärken stärken, Förderung der Resilienz, Aufstellung klarer Verhaltensregeln, gewaltfreie Kommunikation und eine ansprechende architektonische Gestaltung der Einrichtung. Wesentliche Schutzfaktoren sind: die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls, ein hohes Selbstbewusstsein, Unterscheidung von Selbst- und Fremdwahrnehmung, soziale Kompetenzen, Überzeugungskraft, die Fähigkeit Konflikte zu lösen, die Unterscheidung von guten und schlechten Gefühlen einerseits und konstante und verlässliche Beziehungen zu Bezugspersonen andererseits.
Zu einem ganzheitlichen Ansatz gehören auch Maßnahmen zur Förderung der Freude an der Bewegung und die Unterstützung auf dem Weg zu einer gesunden Ernährung als Vorbeugung von Bewegungsmangel, Übergewicht und Adipositas.
Aufgrund der Vielseitigkeit und Komplexität verschiedener Bereiche und Ansätze von Gewaltprävention, können Netzwerke mit anderen Einrichtungen und Kooperationen mit externen Partnern sinnvoll sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt, dass Gewaltprävention in Einrichtungen gelingen kann, ist die Einbindung und Mitverantwortung der Eltern.
III. Bereiche und Ebenen der Gewaltprävention
Ansätze, Maßnahmen und Programme der Gewaltprävention sind nicht immer exakt zuzuordnen, sondern umfassen häufig verschiedene Ebenen. (Gewaltprävention und Schulentwicklung. Analysen und Handlungskonzepte, Wolfgang Melzer, Wilfried Schubarth, Frank Ehninger, 2004). Wird Prävention unter systematischem Blickwinkel betrachtet, so lassen sich zunächst zwei grundsätzliche Klassifikationen unterscheiden:
Verhaltensprävention und Verhältnisprävention
Die Verhaltensprävention ist personenorientiert und bezieht sich unmittelbar auf den einzelnen Menschen. Sie zielt auf die Beeinflussung des Verhaltens von Individuen und Gruppen, beispielsweise durch Weiterbildungsprogramme, Lebenskompetenzförderung und Persönlichkeitsstärkung.
Die Verhältnisprävention als umgebungsorientierte Prävention berücksichtigt die Lebensverhältnisse und Lebensbedingungen und zielt auf die Gestaltung gewaltmindernder gesellschaftlicher Strukturen und Rahmenbedingungen mit einem Klima der Akzeptanz. Dazu zählen auch gesetzliche Maßnahmen und Möglichkeiten der Beteiligung. Damit Verhaltensprävention wirken kann, ist es sinnvoll diese mit den Maßnahmen und Programmen der Verhältnisprävention zu ergänzen.
Prävention sollte nicht nur die Verhaltensdimension des Kindes umfassen, sondern auch dessen Lebensverhältnisse und Umstände, die sein Verhalten bedingen. (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävention für den Vorschulbereich, 2013)
Caplan (1964) unterscheidet drei Ebenen der Prävention. Seine Einteilung berücksichtigt, an welcher Stelle das entsprechende Programm in der Kette der Risikofaktoren von „lange bevor Gewalt auftritt“ bis zu „lange nachdem Gewalt aufgetreten ist“ angesiedelt ist (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävenion für die Grundschule, 2007).
1. Primäre Prävention strebt die Verhinderung von Gewalt im Vorfeld an. Es handelt sich somit um Maßnahmen, die vor dem Beginn einer Störung ansetzen. Das können erzieherische, beratende, therapeutische, aber auch bauliche Maßnahmen sein. Zum Beispiel Präventionsprogramme, die im Zusammenwirken mit der präventiven und pädagogischen Entwicklung von Einrichtungen Kinder und Jugendliche zum sozialen Umgang miteinander befähigen sollen und sie andererseits stärken, um Konfliktsituationen und Übergriffe soweit dies möglich ist, zu vermeiden. Ziel der primären Prävention ist eine Minderung der Anzahl an zukünftigen Gewaltanwendungen.
2. Die sekundäre Prävention greift mit auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen bezogenen Maßnahmen ein, wenn bereits erste Gewalttendenzen bestehen. Maßnahmen können sein: Anti-Aggressions-Therapien, Anti-Gewalt-Training, Verhaltenstraining, Erlernen von Verhaltensregeln, Sozialkompetenz-Training. Ziel der sekundären Prävention ist eine Minderung der Anzahl an bestehenden Fällen durch vorbeugende Maßnahmen einerseits und Kompetenzförderung andererseits.
3. Die tertiäre Prävention wendet sich an diejenigen, die bereits auffällig, gewalttätig oder straffällig geworden sind. Hierzu gehören die Resozialisierung, der Täter-Opfer-Ausgleich, soziale Trainingskurse oder andere ambulante Angebote. Es werden demnach spezifische Maßnahmen ergriffen, nachdem bereits eine Störung eingetreten ist, um Rückfälle zu verhindern. (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävenion für die Grundschule, 2007)
Die genannten Unterscheidungen weisen einige Defizite auf. Ein neuerer Ansatz ist die Unterscheidung nach Gordon (1983) in universelle, selektive und indizierte Prävention. Diese Einteilung bezieht die Zielgruppe – unterschiedliche Adressatengruppen – die mit den Maßnahmen erreicht werden sollen, mit ein.
Universelle Prävention (Ebene 1):
Vorbeugende Maßnahmen für die Gesamtpopulation beziehungsweise Segmente der Bevölkerung zur Verhinderung künftiger Probleme. Durch die Erreichbarkeit vieler Personen, steht der Nutzen der Maßnahme in einem positiven Verhältnis zum Aufwand. In Bezug auf Kinder und Jugendliche, die im Laufe ihres Lebens gewalttätiges Verhalten entwickeln würden, bedeutet universelle Gewaltprävention das Erzeugen von Bedingungen beziehungsweise das Anbieten von Kampagnen, die das Auftreten unerwünschten Verhaltens verhindern oder zumindest unwahrscheinlicher machen. Das können Programme zur Förderung der Lebenskompetenzen von Kindern und Jugendlichen sein, aber auch Vorträge, die der Prävention dienen beziehungsweise Informationsmaterialien.
Selektive Prävention (Ebene 2):
Die selektive Prävention richtet sich gezielt an Risikogruppen. Sie wirkt stärker, da sie besser auf die jeweilige gefährdete Gruppe zugeschnitten ist, beispielsweise durch pointierte Informationen und persönliche Beratung. Wobei auch vorbeugende Maßnahmen der universellen Prävention in der selektiven Prävention eingesetzt werden können. Bei der selektiven Prävention in Einrichtungen liegen die Schwerpunkte in der Krisenintervention und dem frühzeitigen Erkennen von Kindern mit Problemen (Risikogruppe), um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können.
Indizierte Prävention (Ebene 3):
Geeignete vorbeugende oder therapeutische Maßnahmen für Kinder, die bereits ein Risikoverhalten aufweisen. Die genannten Ebenen bauen aufeinander auf und ergänzen sich. Ihre Übergänge sind fließend.
Der Mehr-Ebenen Ansatz:
Dieser Ansatz ist personenzentriert und familienbezogen und bezieht Kindergarten und Schule und das soziale Umfeld mit ein. (Scheithauer, H. 2010) Maßnahmen zur Gewaltprävention sollten nach dieser Theorie idealerweise auf folgenden Ebenen ansetzen: Der individuellen Ebene (Konfliktfähigkeit der Person), der Gruppenebene (Konfliktfestigkeit der Gruppe) und der Systemebene (Konfliktkultur der Einrichtung). Programme können sein: Gruppentrainings, Fortbildungen und Beratungen, Coachings, Mentorenprogramme, Förderung geistiger Fähigkeiten, Verbesserung des Sozialklimas, Elternpartizipation.
IV. Fazit
Gewaltprävention ist so gesehen kein Set von Maßnahmen, Modellen und Projekten im Nahbereich von Kindern und Jugendlichen, sondern eine gesamtgesellschaftliche Strategie der Demokratisierung und Zivilisierung. Erst in dieser Einbettung machen die Einzelmaßnahmen Sinn, und erst in diesem Kontext können die Einzelmaßnahmen auch auf ihren Beitrag für eine Zivilisierung und Demokratisierung von Gesellschaft geprüft werden. (Gugel, G.: Handbuch Gewaltprävenion für die Sekundarstufen, 2009)
Autorin: Anita Knöller, Studium Rechtswissenschaften, Schwerpunkt Kriminologie, Geschäftsführung Wir stärken Dich e. V.
Wir stärken Dich e. V. wurde im Februar 2003 gegründet. Satzungsmäßiger Zweck ist insbesondere die Unterstützung von gewalt- und suchtpräventiver Maßnahmen zur Förderung der Kinder- und Jugendhilfe und Erziehung speziell im Bereich pragmatischer Präventionsarbeit mit der Zielsetzung Kinder und Jugendliche vor Gewalt und Suchtgefahren, insbesondere auch durch Aufklärung in der Elternarbeit zu schützen.